Das Interview führte Margret Köhler.
Wolfgang Becker (rechts) mit Kameramann Martin Kukula
Was hat Sie an diesem 'vergessenen' Jahr 1990/91 interessiert?
Anfang 1990 wusste man noch nicht, dass die Wiedervereinigung in diesem Jahr stattfinden würde. Ich fand es spannend, diese Zeit noch einmal nach zehn Jahren auferstehen zu lassen, als Periode der Unsicherheit und des Umbruchs. Wir haben alle mittendrin gestanden. Aber wenn man heute zurückdenkt, was da eigentlich genau war, müssen wir überlegen und recherchieren. Es gibt natürlich viele Dinge, die der Film nicht thematisiert wie den Drang zur Konsumwelt, der die DDR fast zum Ausbluten brachte, oder die verpasste Chance, ein Gegenmodell zu Westdeutschland zu entwickeln. Zwei Aspekte reizten mich besonders: Da fängt jemand mit einer kleinen Lüge an, um seine Mutter vor Schlimmerem zu bewahren und verheddert sich dann in ein Lügennetz. Wie beim Zauberlehrling wird er der Sache nicht mehr Herr. Was am Anfang noch sympathisch wirkt, bekommt etwas Fragwürdiges. Dazu kam diese verzwickte Familiengeschichte während eines bedeutenden historischen Moments, der nebenbei miterzählt wird, der Abschied eines jungen Mannes von Jugend und Ideologie.
Mit dem Nachstellen der "Aktuellen Kamera" ziehen Sie die Medien-Manipulation durch den Kakao.
Diese Frage der Geschichtsfälschung und -umdeutung ist ein Kernpunkt. Man benutzt die gleichen Bilder und setzt sie in einen anderen Kontext mit einem anderen Kommentar und schon begegnen wir einer völlig verdrehten Wirklichkeit. Es heißt nicht zufällig, Film sei die Lüge 24 Mal in der Sekunde. Was ist der Wahrheitsgehalt von Bildern, inwieweit kann ich dem Fernsehen überhaupt noch trauen, wie steht es mit der Manipulation durch Medien? Das sind nicht nur für einen Filmemacher brisante Fragen, sondern auch für den ganz normalen Zuschauer.
Mit dem "Ost"-Thema wagen Sie sich als "Wessi" ganz schön weit vor. Haben Sie keine Angst vor Argumenten, wie "was weiß der denn schon"?
Nach Lesen des Drehbuchs glaubten viele, wir seien aus dem Osten. Die Zweifel begannen erst, als klar war, dass wir aus dem Westen stammten. Die Gefahr, den Beifall von der falschen Seite zu bekommen oder Kritik, nur weil man nicht dazugehört, liegt in der Natur des Stoffes. Wer zu viel weiß, kann aber auch so verstrickt sein, dass es ihm schwer fällt, eine einfache Geschichte zu erzählen. Ich kann mich wahrscheinlich drehen und wenden und komme da nicht raus. Der Film ist Fiktion und diese setzt sich über einiges hinweg, ist nicht 1:1 mit dem Alltagsleben gleichzusetzen. Die Idee, dass jemand ins Koma fällt, aufwacht und sich nicht mehr an die Zeit erinnert, als er ins Koma fiel, ist die Voraussetzung für den Film, den der Zuschauer ja nicht auf medizinische Wirklichkeit abklopft. Glaubhaft müssen die Stimmigkeit in der Mutter-Sohn-Beziehung und die Figur des Alex sein, der sich in dem Moment zurückbewegt, als ihm die Zukunft offen steht.
Beim Drehen soll es nicht immer ganz harmonisch abgelaufen sein?
Es war ein anstrengender Dreh. Der Film entstand nicht unter normalen Voraussetzungen, es war ein Albtraum mit Unbill und allen Komplikationen, die passieren können. Krankheit, Schwangerschaft und dann der 11. September, der alles über den Haufen warf. Und das Wetter – vier Wochen Dauerregen, dabei sollte es Sommer sein. Der Drehplan wurde ständig verändert. Die katastrophalen Bedingungen steckt man am Anfang mit einer Solidarität weg nach dem Motto: Wir rücken zusammen, keiner kann was dafür. Wenn aber nach vier oder fünf Wochen die Probleme nicht aufhören, bröckelt es an allen Fronten. Da kommt es dann zur so genannten Demoralisierung der Truppe, jeder wird dünnhäutig.
Inwieweit nehmen Sie Vorschläge von Schauspielern auf, gerade bei diesem Sujet?
Ich wäre schlecht beraten, Vorschläge von Schauspielern nicht anzunehmen. Nur wenn ich glaube, sie kommen nur aus dem Moment heraus und bewähren sich nicht, bleibe ich lieber bei meinen Vorgaben. Aber nicht ist so zementiert oder in Stein gemeißelt, dass ich mich davon nicht loslösen könnte. Wer das ursprüngliche Drehbuch mit dem endgültigen Dialogbuch vergleicht, stößt auf Änderungen. Einfach weil die Schauspieler, größtenteils aus der ehemaligen DDR, etwas angeboten haben, was sich in den Dialogen nicht so papieren anhört.